Don Juan.
Künstlertum und Musikästhetik in E. T. A. Hoffmanns Erzählungen.


In einer chinesischen Erzählung versammelt ein alter Maler seine Freunde, um ihnen sein letztes Bild zu zeigen. Ein Park ist darauf abgebildet, durch den sich ein Weg vorbei an Bäumen und Bächen schlängelt, bis zur kleinen roten Tür eines Palastes. Die Freunde betrachten das Bild, doch als sie sich umwenden, ist der Maler verschwunden. Sie blicken ins Bild. Dort geht er den Weg entlang, kommt bis zur Tür und öffnet sie. Dann dreht er sich noch einmal um, winkt und verschwindet im Bild, die Tür hinter sich schließend.[1]
Dieses Verschwinden des Malers kann als Rückkehr gesehen werden, die durch eine Sehnsucht nach Einheit motiviert ist. Verloren wurde diese ursprüngliche Einheit mit der Erlangung des Bewusstseins. Ein >Selbst< kann es nur geben, wenn die Unterscheidung von der Welt vollzogen ist, wenn Sein und Bewusstsein auseinanderklaffen.
Die Erlangung von Bewusstsein ist dabei ambivalent, da sowohl Trennung, als auch Freiheit die Folge sind. Die biblische Geschichte von der Vertreibung des Menschen aus dem Paradies durch das Essen der Frucht vom Baum der Erkenntnis handelt von dieser Trennung und dem Freiheitsgewinn als Unterscheidung zwischen gut und böse. Von der verlorenen Einheit handelt auch Heinrich von Kleists Essay Über das Marionettentheater (1810). Ein Schauspieler erkennt hier, dass er seine Kunst im Vergleich zu einer Marionette nur unvollkommen beherrscht. Der Gliedermann besitzt nämlich einen Schwerpunkt, von dem alle organischen Bewegungen ausgehen. Diesen Schwerpunkt, an dem also die Seele sitzen müsste, hat der Mensch längst verloren. Es bleibt also für ihn nur noch die Möglichkeit, durch Technik die ursprüngliche Perfektion zu erreichen. Es muss die Reise um die Welt angetreten werden, um zu sehen, ob das Paradies von der anderen Seite offen steht.
Da am Eingang des Paradieses von Gott jedoch ein Posten aufgestellt wurde, ist die Grenze nicht ohne weiteres zu überqueren. Dabei ist es vor allem die Kunst der Romantik, welche versucht, Grenzen aufzuheben und zu verwischen. Der Versuch einer Rückkehr zur Einheit findet dabei in einem Zustand der Ununterscheidbarkeit statt. Die Grenzen zwischen Künstler und Kunst, Subjekt und Objekt, Selbst und Welt verschwimmen. Im Symbol ereignet sich dabei die Anwesenheit des Bezeichneten im Bezeichnenden. Das Kunstwerk zeigt sich dabei als Ort der utopischen Entgrenzung durch die phantastische Kraft der Kunst.
Im Werk E. T. A. Hoffmanns gibt es ebenfalls Figuren, die in der Welt der Kunst verschwinden. In seiner Künstlernovelle Don Juan ist es die Sängerin und Darstellerin der Donna Anna aus Mozarts Oper Don Giovanni, die sich mit ihrer Rolle so sehr identifiziert, dass sie am Schluss darin verschwindet ohne wiederzukehren.
Für E.T.A. Hoffmann war die Musik die Ahnung des verlorenen Paradieses. In der Kunst konnte es Momente des Eins-Seins geben, den Vorgeschmack der Unendlichkeit. Obwohl diese Einheit auf Erden nicht zu erreichen war, begaben sich viele Romantiker auf die Suche. Heinrich von Ofterdingen ist auf der Suche nach der blauen Blume. Auf die Frage wohin er unterwegs sei, erwidert er stets: immer nach Hause! Die Frühromantik erkannte das Leiden als das principium individuationis.[2] Dieser Drang nach Überwindung der irdischen Unzulänglichkeiten setzt eine starke Empfindung der Trennung voraus. Man muss seine Existenz als sehr gespalten und unvollkommen empfinden, um sich überhaupt auf die Suche nach der blauen Blume zu begeben.
E.T.A. Hoffmann findet dafür den Vergleich mit der Prometheussage. Prometheus stahl himmlisches Feuer, um damit seine toten Geschöpfe zu beleben. Dies blieb von den Göttern jedoch nicht ungestraft. „Die Brust, die das Göttliche geahnt, in der die Sehnsucht nach dem Überirdischen aufgegangen, zerfleischte der Geier, den die Rache geboren und der sich nun nährte von dem eignen Innern des Vermessenen.“[3] Seitdem tragen die Menschen jedoch den göttlichen Funken im Herzen.
In der abendländischen Philosophie findet sich diese Grunderfahrung der Zerrissenheit schon in Platons σῶμα σῆμα. „Der Leib ist das Grab der Seele“[4]. Diese Auffassung begründet den platonischen Dualismus von Wirklichkeit und Erscheinung, Idee und Sinnesobjekt, Vernunft und sinnliche Wahrnehmung und von Seele und Leib. Die Nachwelt interpretierte diese Stelle meist als Aufruf zu Askese und Körperfeindlichkeit. Spuren davon lassen sich auch bei E.T.A. Hoffmann finden, der die Welt als grundsätzlich dualistisch empfand.

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