Neues von den Abzocktalern
Interview der
Abzocktaler mit American Idol
>The Supertalent<
Helene Fischer, Peter Fox und alle deutschen
erfolgreichen Musiker aufgepasst! Eine neue Band, die sich wie kaum eine andere
dem finanziellen Erfolg verschrieben hab, ist nach einem rasanten Aufstieg
flugs an die Spitze der Charts geklettert: Die Abzocktaler sind da! Eben erst
hat die Veröffentlichung ihres neuen Albums „Geld her oder I fall um“ der
bislang unbekannten Band neben ansehnlichen Verkaufszahlen eine breite mediale
Öffentlichkeit beschert. Die Gruppe um die Frontfrau Vroni Vrivol war bis dato
ebenso unbekannt wie ihre Heimat, das Abzocktal in den Zechpreller Alpen, am
Fuße des großen Wucher.
Ihr Debüt hatte in der Öffentlichkeit große
Kontroversen ausgelöst, die Verkaufszahlen erweckten Neid und die kaum zu
übersehende kommerzielle Ausrichtung der Band war für den durchschnittlichen
Musikhörer ungewöhnlich. Die Vorwürfe reichten von „Musikkapitalisten“ bis –
entschuldigen sie die Ausdrucksweise - „materialistische Arschlöcher“. Diese
Anfeindungen, die vorallem aus allen etablierten Lagern aber auch jungen Genres
wie der Elektromusik kamen, bezogen sich sowohl auf das gesamte Auftreten der
Band, als auch auf die einzelnen Musiker selbst, nicht jedoch auf deren Musik.
Gegenstimmen gab es auch vereinzelt, meistens von
Kollegen. Ein Jazzsänger, der ungenannt bleiben möchte meint, das sei die erste
Gruppe seit Jahren, die wieder offen und ehrlich anspreche, was viele nur vage
fühlten.
Wir von American Idol superstar haben entschieden,
uns statt an das Album und die Auftritte an die Band selbst zu halten. Anstatt
einen weiteren Beitrag zum ideologisch aufgeladenen Streit zu liefern, wollen
wir die Band in einem Interview selbst zu Wort kommen lassen.
Es war dies jedoch leichter gesagt als getan, denn
das Abzocktal, das am Fuße des großen Wucher liegt, ist immer noch
ausschließlich über eine schmale Bergstraße zu erreichen, die kein Auto
passieren kann.
Und so kam es, dass sich eines Montag Morgens im Mai
zwei Journalisten auf einen mehrstündigen Fußmarsch begaben, um eine
aufstrebende Band im Populärmusikuniversum zu treffen.
Wir erreichen
die ersten Häuser eines mittelgroßen Bergdorfes. Auffällig ist jegliches Fehlen
von Zeichen, die erkennen lassen, dass wir uns bereits im Zeitalter der Moderne
befinden. Den ärmlichen Hütten sieht man es kaum an, dass es sich hier um eines
der reichsten Dörfer der Welt handelt. Am vereinbarten Treffpunkt ist zunächst
niemand auffindbar. Erst nach verzweifeltem Lärmen an mehreren Haustüren nähern
sich schlurfende Schritte vom Balkon.
Supertalent: Hier sind wir.
Abzocktaler: Ah die Herren von der Zeitung,
sehr gut. Wir dachten schon… Aber kein Problem, nehmen Sie in einem der
Liegestühle Platz, die unten vor dem Haus stehen. Wir sind gleich bei Ihnen.
(Jetzt erst fällt auf, dass rund um das Haus
zahlreiche Liegestühle in Gruppen postiert sind, auch Feld- Wasser- und
Strohbetten kann man sehen.)
Supertalent: Wir sind soeben hier in ihr
wunderschönes Dorf gewandert. Was tun Sie denn hier?
Abzocktaler: Nichts.
Supertalent: Wie, nichts? Könnten Sie das
vielleicht näher ausführen, erklären, erläutern?
Abzocktaler: (Nach kurzem Nachdenken) Nein.
Supertalent: Oh, Pardon, die Frage war wohl
etwas zu unpräzise gestellt. Wir sind es gewohnt, dass sich Leute, die aus dem
Showbusiness kommen etwas … naja, sagen wir etwas reger verhalten, also meistens
gestresst sind. Sie machen wohl gerade Ferien? Warum ausgerechnet hier, wo es
praktisch nichts Zerstreuendes gibt, abgesehen von Wanderungen auf den Wucher
und ein Bad im kleinen Zins? Warum tun Sie nichts zur Erholung?
Abzocktaler: Naja, ein bisschen Eierschaukeln…
Philosoph: (kommt unversehens um die Ecke):
An dieser Stelle könnte ich weiterhelfen. Ich darf mich vorstellen,
Überdruß, ich bin von der Band als Philosoph angestellt. Neben image building
und der Ausarbeitung des Bandkonzepts bin ich hier, um genau diese Art von
Fragen zu beantworten. Was Sie hier mit vorsichtigen Worten anzudeuten
versuchten, ist keineswegs gelebte Faulheit, sondern zählt als performativer
Akt gewissermaßen zum Auftreten der Band. Der „aktive Nihilismus“, wenn Sie
verstehen, was ich meine… Am Umgang mit der Zeit, zeigt sich doch wahre
Souveränität. Wissen Sie, es geht doch darum, der Gesellschaft einen Spiegel
vorzuhalten.
Wir befinden uns in einer Epoche der Beschleunigung
und der zwanghaften Betriebsamkeit, in der Müßiggang nicht nur tatsächlich,
sondern auch als ein Ziel von Arbeit verschwunden ist. In einer solchen Zeit
muss man dagegenhalten. Nichts-tun als revolutionärer Akt sozusagen. Wenn das
Glück ist, dann denunziert diese Idee alle Glücksversprechen, die die Arbeit
und Ausbeutung als sinnvoll erscheinen lassen.
Supertalent: Also zusammengefasst, sie haben
gerade auf recht unverständliche Art versucht zu erklären, warum diese Herren
hier sind und nicht im Münchner Glockenbachviertel?
Philosoph: Wenn Sie so wollen. Verstehen Sie
mich richtig, das ganze Schlagerimage, das ist doch furchtbar albern. Auch
diese forcierte Unpünktlichkeit. Wie lange mussten sie heute auf den
Interviewtermin warten? Das mit dem Geld ist natürlich eine ganz eigene
Geschichte, die sich nicht so auf die Schnelle erklären lässt.
Supertalent Ach, wirklich? Eine Frage noch an
den Herrn Abzocktaler. Was machen Sie denn mit dem ganzen Raibach, pardon, mit
dem ganzen Geld, das Sie verdienen?
Abzocktaler: Wissen Sie, im Grunde ist uns das
Geld doch vollkommen egal. Was sollten wir uns hier im Abzocktal auch damit
kaufen?
Supertalent: Aber warum dann die ganze
Fixierung aufs Geldverdienen? Warum kommt in der letzten Strophe der Hymne des
Abzocktals von Philio Goldeini aus dem Jahr 1842 die Zeile „Was wäre das Leben
ohne das Geld?“[1] vor?
Abzocktaler: Ach, das mit dem Geld ist
eigentlich nur ein kleiner Seitenhieb. Wir haben ja alle Jazz studiert und
wollen mit der ganzen Kohle unsere Kollegen ärgern, die ständig schuften müssen
und auf zahlreichen Bühnen auftreten, aber trotzdem immer pleite sind… Hahaha
(Der Musiker beginnt schallend zu lachen,
eigentlich an einer völlig unpassenden Stelle des Gesprächs. Unversehens
beginnen sich die Formen aufzulösen. Die Liegestühle, in denen wir noch soeben
tief versunken waren beginnen auf unangenehme Art und Weise ein Eigenleben zu
entwickeln und traktieren uns mit Stößen. Plötzlich lichten sich die
Nebelschwaden, die bislang die Bergkette verhangen hatten und der große Wucher
erscheint. Doch wie staunen wir, als sich anstatt des Berges das Leadenhall
Building über dem Tal erhebt. Und anstatt des kleinen dahinfließenden Zinns
wächst ein breiter Strom, der stark an die Themse erinnert. Das Gelächter des
Mannes klingt plötzlich blechern, seine Züge sind hart geworden und unter dem
ergrauten Haar werden die Züge des Ebenezer Scrooge sichtbar. Uns graut bei
diesem Anblick und wir springen aus unseren Liegestühlen, die sich unterdessen
in kleine Autos verwandelt haben und durch den hügeligen Garten rasen…
[1]
"Am Fuße des Wuchers" (Philio Goldeini, 1842)
1.Am Fuße des Wuchers dort, 3.
Der silberne Reibach,
ich meine Liebe fand, die Berge so weiß
an diesem schönen Ort, mei wunderschens Abzocktal,
in unsrem schönen Land! lieb‘ I mit Fleiß.
ich meine Liebe fand, die Berge so weiß
an diesem schönen Ort, mei wunderschens Abzocktal,
in unsrem schönen Land! lieb‘ I mit Fleiß.
2. Am Fuße des Wuchers da, 4. Am Fuße des Wuchers
ich wohl mein Herz verlor, kam I zur Welt.
an jenem Tag mir war Was wäre das Leben
voll Glück wie nie zuvor! ohne das Geld?
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